Arbeitsgemeinschaft Selbständige in der SPD (AGS) in der Regio Aachen

Für eine soziale, nachhaltige und ökologische Wirtschaft

Mehr Inklusion wagen

Veröffentlicht am 24.08.2015 in Integration

Jens Möllenhoff

Wir wollen mehr Inklusion wagen!
Neue Wege der Arbeitsmarktpolitik für Menschen mit Behinderung
von Jens Möllenhoff

Mitte Juli legte Bundesfinanzminister Schäuble einen Plan vor, wie die Chancen von Menschen mit Behinderung erhöht werden können, eine Beschäftigung mit adäquater Entlohnung zu erlangen. Um dies zu erreichen, solle die sogenannte Schwerbehinderten- Ausgleichsabgabe von derzeit rund 2000 Euro je unbesetzten Pflichtarbeitsplatz auf rund 4000 Euro pro Jahr steigen. Laut Medienberichten reagierte das Bundesarbeitsministerium reserviert auf diese Vorschläge und wolle dies erst einmal bewerten.

Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, Verena Bentele, begrüßte den Vorschlag bereits. Sie stellte jedoch fest, dass ebenfalls Finanzmittel benötigt werden, um das neue Bundesteilhabegesetz zu finanzieren. Ein selbstbestimmtes Leben zu führen bedeutet, dass behinderte Menschen unabhängig beraten werden, Assistenzleistungen in Anspruch nehmen können und dass sie nicht nur 2.600 Euro ihres Einkommens und Vermögens behalten dürfen. Hierfür sind Mittel nötig, die nicht aus dem Topf der Ausgleichsabgabe kommen können

Meiner Meinung greift eine reine Erhöhung der Schwerbehinderten- Ausgleichsabgabe schon aus folgenden Gründen zu kurz:

Auch 4000 Euro pro Jahr pro nicht mit einem Menschen mit Behinderung besetzten Arbeitsplatz sind selbst für kleine und mittelständische Betriebe keine allzu große Belastung. Ein „Freikauf“ von der Verpflichtung, behinderte Menschen einzustellen, wird so nach wie vor viel zu einfach gemacht.

Außerdem bringt eine von vielen als solche empfundene „Strafabgabe“ weniger als bisher schon in Ansätzen bestehende Anreize, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Wir brauchen mehr und effektivere Anreize, um diese in Lohn und Brot zu bringen. So lange der Arbeitgeber diese Abgabe als Strafe begreift, wird er höchst unwillig zahlen und, wenn überhaupt, höchst unwillig einen behinderten Menschen einstellen. Wenn man ihn aber darüber aufklärt, was für Vorteile dieser Mensch ihm als Arbeitnehmer bringt, wird er das gerne tun.

  • So gibt es allen Unkenrufe zum Trotz auch unter den Menschen mit Behinderung gut ausgebildete Fachkräfte. Auch wenn der Prozentsatz derjenigen ohne allgemeinen Schulabschluss unter behinderten Menschen nach wie vor höher ist als unter den nicht behinderten Menschen, sind diese Zahlen rückläufig. Dasselbe gilt für die Zahl der in einem Ausbildungsverhältnis stehenden behinderten Menschen.
  • Natürlich ist es das Ziel von jeder Inklusionsbestrebung, den Menschen mit Behinderung als ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu begreifen und anzunehmen. Dennoch kann ihre spezielle Lebensrealität und ihr Umgang mit bestimmten Situationen des täglichen Lebens ein Gewinn für das sie beschäftigende Unternehmen und dessen Produkte und Dienstleistungen sein.
  • Schließlich besteht auch von Seiten des Arbeitnehmers die Möglichkeit, die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung gewinnbringend zu propagieren. Er macht hierdurch nicht nur auf die Situation von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben aufmerksam. Er kann auch seine Rolle als „Leuchtturmbetrieb“ der Inklusion gewinnbringend nach außen darstellen und so Kunden und Geschäftspartner gewinnen, denen ein soziales Bewusstsein wichtig ist.
  • Den eingangs erwähnten Vorschlag aus dem Bundesfinanzministerium halte ich hingegen für eine Vernebelungsaktion der wahren Gründe für die katastrophal hohe Arbeitslosenquote unter Menschen mit Behinderung. Diese Quote ist im Vergleich zur Arbeitslosenquote in der nicht behinderten Bevölkerung nicht nur deswegen so hoch, weil die Schwerbehinderten- Ausgleichsabgabe zu niedrig ist. Sie ist auch deswegen so hoch, weil das groß im Koalitionsvertrag angekündigte Bundesteilhabegesetz nun aus Gründen des Finanzierungsvorbehalts auf die lange Bank geschoben wurde.

Damit direkt zusammen hängt auch die ebenfalls aus finanziellen und strukturellen Gründen schleppend vorangehende Umsetzung der UN- Behindertenrechtskonvention. Es ist eben einfacher, an der kleinen Stellschraube Schwerbehinderten- Ausgleichsabgabe zu drehen als den ganzen Motor mit Hilfe des Bundesteilhabegesetzes umzubauen.
Es kann außerdem nicht sein, dass man hier an alten Vorgehensweisen und Sichtweisen festhält, obwohl sich neue Methoden und Sichtweisen bereits als viel besser erwiesen haben. Aus der Schwerbehinderten- Ausgleichsabgabe spricht meiner Meinung nach das Bild des Menschen mit Behinderung als ein Sonderling, nicht als ein voll inkludiertes Mitglied der Gesellschaft. Gemeinsam mit mir persönlich haben es sicher viele andere Menschen mit Behinderung satt, ein Sonderling zu sein. 

Um Willy Brandt zu paraphrasieren: Wir wollen mehr Inklusion wagen. Aber warum ihn nur paraphrasieren? Ja, wir wollen mehr Demokratie wagen, denn jedes Streben nach mehr Inklusion ist ein Streben nach mehr Demokratie!

Jens Möllenhoff (jens.moellenhoff(at)spd- vaterstetten.de) ist Beisitzer und Beauftragter für Neue Medien im SPD- Ortsverein Vaterstetten bei München. Nach einem Studium der Germanistik arbeitet er für die Stiftung Pfennigparade, einem Rehabilitationszentrum für körperbehinderte Menschen in München. Zu den Schwerpunkten seines politischen Engagements gehört die Behindertenrechtspolitik. Hierbei legt ihm besonders die auch von Deutschland ratifizierte UN- Behindertenrechtskonvention und ihre Umsetzung am Herzen.