Arbeitsgemeinschaft Selbständige in der SPD (AGS) in der Regio Aachen

Für eine soziale, nachhaltige und ökologische Wirtschaft

Martin Schulz steht zu KMU´s

Veröffentlicht am 08.05.2017 in Bundespolitik

Brümmer trifft Schulz in Düsseldorf

Der Kanzlerkandidat und Parteivorsitzende Martin Schulz hat heute in Berlin im Ludwig-Erhard-Haus eine Grundsatzrede zur Wirtschaftspolitik gehalten: Mit bemerkenswerten Beiträgen!

Die AGS begrüßt den Inhalt dieser Rede: Andre Brümmer, Ehrenvors. der AGSNRW: Das ist der richtige wirtschaftspolitische Ansatz!

Martin Schulz

Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat der SPD Rede bei der IHK Berlin
- Berlin, 8 Mai 2017 -
- Es gilt das gesprochene Wort –

- Sperrfrist: Redebeginn -

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung heute. Ich freue mich, dass sie alle so zahlreich erschienen sind, um mit mir über die Zukunft unserer deutschen Wirtschaft nachzudenken.

Wir sind ja hier im Ludwig-Ehrhard-Haus. Einen passenderen Ort um über die wirtschaftlichen Perspektiven unseres Landes zu sprechen, kann es kaum geben. Der Vater der sozialen Marktwirtschaft war zwar ein Politiker der CDU, aber in den letzten Jahren hatte ich bisweilen den Eindruck, dass er sich manchmal bei der SPD wohler gefühlt hätte. Aber das ist das Schicksal aller Verstorbenen: sie können sich gegen ihre Vereinnahmung nicht mehr wehren. Das ging uns mit Helmut Schmidt schon zu dessen Lebzeiten so.

Aber im Ernst: Ehrhard war geprägt vom Ordo-Liberalismus der Freiburger Schule. Und das war etwas ganz anderes als das, was zu Beginn unseres Jahrhunderts fälschlicher Weise Neo-Liberalismus genannt wurde. Die Ordo-Liberalen folgten keineswegs der verballhorten Parole „Privat vor Staat“, sondern sie wollten die Effizienzen und die Leistungsfähigkeit des Marktes nutzen, ihm aber klare Regeln und auch Grenzen geben. Sie wussten eben, dass der Markt nicht alles kann. Zum Beispiel kann er aus sich heraus keinen gleichberechtigten Zugang zu Bildung oder zu sozialer Sicherheit gewähren.

Anrede,
Die wirtschaftliche Geschichte der Bundesrepublik ist einzigartig und das hat Gründe. Ja, wir haben viel denen zu verdanken, die richtige und mutige Entscheidungen für unser Land getroffen haben:

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·       ·  Ludwig Erhard als „Vater der sozialen Marktwirtschaft“ habe ich schon genannt.

·       ·  Dazu gehört aber auch Karl Schiller, dessen Stabilitätsgesetz mit dem magischen Viereck von stetigem Wirtschaftswachstum, ausgeglichenem Außenhandel,

Preisstabilität und hohem Beschäftigungsniveau bis heute Gültigkeit hat.

·       ·  Helmut Schmidt, ein Weltökonom, der in schwierigsten Zeiten – politisch und

ökonomisch – unser Land sicher gelenkt hat.

·       ·  Helmut Kohl, der Kanzler der Einheit, der diese Einheit zur Basis eines starken

Europas machte.

·       ·  Gerhard Schröder, ein mutiger Mann, dessen Grundsatz „erst das Land, dann die

Partei“ sich mir tief eingeprägt hat.

·       ·  Ja, und auch meine Mitbewerberin – die Vorsitzende der CDU - hat Verdienste,

auch, weil sie dem ökonomischen Verständnis von Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel und jetzt Brigitte Zypries häufig folgte.

Was verbindet diese unterschiedlichen Generationen in der Wirtschaftsgeschichte unseres Landes? Was eint sie? Es ist aus meiner Sicht eine Grundüberzeugung, die sich letztlich im Begriff der sozialen Marktwirtschaft ausdrückt: die deutsche Wirtschaftspolitik hat nie versucht, den technologischen Fortschritt zu bremsen, um denkbar schwierige soziale Folgen dieses Fortschritts zu verhindern. Im Gegenteil: anders als andere auch europäische Nachbarländer haben wir technischen Fortschritt, Produktivitätssteigerung und höhere Effizienz sogar staatlich gefördert. Wir haben uns dem technischen Fortschritt nie entgegen gestellt. Auch nicht durch eine Arbeitsmarktgesetzgebung, die Rationalisierung und Produktivitätsentwicklung teuer gemacht hätte, wie dies lange Zeit Frankreich geprägt hat. Aber wir haben Netze gespannt für die, die dabei nicht immer und sofort mithalten konnten. Wir haben uns um Qualifizierung gekümmert, um eine kluge Arbeitszeit- und Tarifpolitik und manchmal auch um staatlich organisierte Hilfe und Solidarität durch Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld.

Warum erwähne ich das? Weil wir auch der neuen industriellen Revolution, der Digitalisierung, genau so entgegen treten müssen. Angstfrei, selbstbewusst und ohne Technikfeindlichkeit. Aber auch mit klugen Ideen für Qualifizierung, Tarif- und Sozialpolitik.

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Anrede,
Deutschland ist nicht nur ein starkes Land, wegen der richtigen Entscheidungen von politisch Verantwortlichen. Deutschland ist ein Land, das durch den Einsatz von Menschen wie Ihnen hier im Raum zu einer der stärksten Volkswirtschaften der Welt geworden ist. Durch seine mutigen Unternehmerinnen und Unternehmer. Durch seinen innovativen Mittelstand, der viele Weltmarktführer hervorbringt. Durch die fleißigen Handwerksbetriebe und Einzelhändler. Die jungen und hungrigen Start Ups, die uns mit ihrer Kreativität immer wieder beeindrucken. Durch eine Industrie, die eine breite Wertschöpfungskette hervorbringt – von den Grundstoffen bis zu den industrienahen Dienstleistungen. Und nicht zuletzt durch eine hochqualifizierte, leistungsbereite und engagierte Arbeitnehmerschaft.

Zu diesem Erfolg gehört auch, dass wir ein gutes Miteinander zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern haben, ein Zusammenspiel mit Gewerkschaften und Betriebsräten auf der einen, mit ihren Gegenübern auf der Unternehmer-Seite. Auf gleicher Augenhöhe. Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung sind Standortvorteile. Dies ist ein Erfolgsmodell, das auch im internationalen Vergleich Strahlkraft hat und worauf wir stolz sein sollten. Diese Kooperation, die selbstverständlich nicht überdecken will, dass es auch gegenteilige Auffassungen oder unterschiedliche Interessen gibt, muss immer einem Ziel dienen: dass unser Land vorankommt, und, dass alle an unserem Erfolg teilhaben. Dass Arbeitgeber wie Arbeitnehmer hier gut und sicher leben können.

Anrede,
ich habe selbst mal einen kleinen Laden gegründet, eine Buchhandlung. Ich will gar nicht behaupten, dass ich meine unternehmerische Arbeit mit dem vergleichen kann, was sie hier alle im Saal tun. Aber: die Fragen nach der Finanzierung meines damaligen Ladens, der Ärger über bürokratische Vorgaben, die Frage nach dem richtigen Geschäftsmodell, der Richtung in die sich mein Geschäft entwickeln sollte, ob und wen ich damals ausbildete und tausend andere Fragen habe ich mir natürlich – wenn auch nur im Kleinen – ähnlich stellen müssen, wie sie das tagtäglich tun. Ich habe erlebt was es bedeutet Unternehmer zu sein. Habe auch mal nachts wach gelegen und mich gefragt, ob ich am nächsten Tag den Laden noch aufmachen kann. Ich kenne diese Momente des Zweifels. Ich kenne aber auch die Momente des Glücks. Die Freude, wenn man ein Geschäftsjahr erfolgreich abgeschlossen hat – vielleicht sogar besser als erwartet. Oder

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auch, wenn man jemanden durch die Ausbildung begleitet hat und den Einstieg in die Arbeitswelt ermöglicht hat. Ich ziehe deshalb meinen Hut vor all denen, die Unternehmen gründen, die Unternehmen mit vielen Mitarbeitern sicher führen, oder die vielleicht sogar überlegen den Schritt vom regionalen auf den nationalen, kontinentalen oder gar globalen Markt hin zu gehen.

Ich bin in den vergangenen Wochen viel herumgereist und habe zugehört, wenn mir Kollegen von ihnen berichtet haben, was sie von der Politik in Zukunft erwarten. Deshalb glauben Sie mir: wenn ich in vielen meiner Reden von Respekt spreche, den ich den Menschen in diesem Land für ihre Leistung entgegenbringe, dann meine ich auch den Respekt gegenüber den Unternehmern und Selbstständigen, den Respekt gegenüber all jenen, die anpacken und sich einbringen.

Anrede,
Sie haben einen Anspruch darauf zu erfahren, wie ich mir die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes vorstelle, denn ich bewerbe mich bekanntlich im September für ein wichtiges politisches Amt.

Ich bin als jemand bekannt, der klar und deutlich seine Position formuliert und auch mal Klartext redet, wenn es sein muss. Es gibt zwei Gefahren im Wahlkampf: unerfüllbare Sozialversprechen und unerfüllbare Steuersenkungsversprechen. Beides wird es mir mit nicht geben. Ich weiß, dass wir vor allem bei mittleren und unteren Einkommen etwas tun müssen. Der Armuts- und Reichtumsbericht hat uns hier einen klaren Auftrag gegeben und auch die letzte Studie der OECD. Das heißt aber nicht, dass wir Steuergeschenke mit der Gießkanne verteilen sollten, von denen am Ende eh nur die profitieren, die am meisten haben. Klar wollen auch wir Entlastungskomponenten, die die belohnen, die hart arbeiten. Dazu gehört auch, dass wir eine doppelte Haltelinie bei der Rente haben. Keine Beiträge, die ins unermessliche steigen und auch ein armutsfestes Rentenniveau. Wer hilft unser Land nach vorne zu bringen, der muss belohnt und unterstützt werden. Auch das ist eine Dimension von Gerechtigkeit. Es ist Leistungsgerechtigkeit.

Deshalb ist das Thema Gerechtigkeit auch ein Thema, das für die Wirtschaft relevant ist.

Gerechtigkeit ist die zentrale Voraussetzung für wirtschaftliche Innovationen und

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Fortschritt. Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen gefährdet hingegen unsere Zukunftschancen. Das belegen zahlreiche Studien und das wird mittlerweile auch von der OECD bis hin zum Weltwirtschaftsforum bestätigt.

Nun können wir uns darüber streiten, welche Maßnahmen wir beschließen möchten um diese Gerechtigkeit herzustellen. Ich habe zum 1. Mai zum Beispiel vorgeschlagen, die Parität bei den Zusatzbeiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung wiederherzustellen. Ich weiß, dass ich für diese Maßnahme hier heute bei Ihnen keinen Applaus erwarten kann. Denn das wird Unternehmen Geld kosten. Das ist so. Ich denke aber, dass es eine Frage der Gerechtigkeit ist, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Krankenversicherung zu gleichen Teilen finanzieren. In einer alternden Gesellschaft müssen wir darauf achten, dass langfristig dieses Modell der Gesundheitsfinanzierung auch tragbar bleibt und seine Akzeptanz gesichert ist.

Denn darum geht es mir bei allen Vorschlägen, die ich unterbreite: um die Langfristigkeit. Darum dass wir die Weichen in die Zukunft stellen. Es geht um die Frage: Was müssen wir tun, damit Deutschland auch in 10 oder 15 Jahren noch wirtschaftlich stark ist und auch sozial sicher und gerecht? Meine große Sorge ist, dass wir uns zu sicher fühlen. Dass wir uns zu sehr auf dem Erreichten ausruhen. Dass wir den Wandel verpassen. Sie als Unternehmerinnen und Unternehmer wissen doch am besten: wer das tut, macht den ersten Schritt in den Abstieg. Oder wie Willy Brandt es formuliert hat: „Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen“.

Anrede,
Globalisierung, Digitalisierung, Robotik und Automatisierung sind Prozesse die unsere Wirtschaft schon jetzt umwälzen.
Da reicht ein Auf-Sicht-Fahren nicht mehr aus, wenn wir am Ball bleiben wollen. Das Klein-Klein und das Ablehnen von allen großen Entwürfen ist mir zu ambitionslos, zu müde und ja, auch zu phlegmatisch. Eine solch lustlose Haltung entspricht auch nicht der Begeisterung, die ich bei vielen Selbstständigen und Unternehmern, gerade bei den Jungen, bei Start Ups und vielen anderen erlebt habe, die hungrig sind und die längst aufgebrochen sind, in eine neue Zeit, die neue Antworten verlangt. Diese unternehmerische Begeisterung und Neugier muss im politischen Gegenüber einen motivierten und engagierten Partner finden, der mehr will, als sich durchzuwurschteln.

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Ich will weiterhin auf unsere Stärken setzen: Auf den Mittelstand, auf die jungen Start-ups, die der Mittelstand von morgen sein werden und auf die deutsche Industrie, die den starken Kern unserer Wirtschaft ausmacht und an der in Deutschland so unendlich viele Jobs hängen. Die größte Leistung Gerhard Schröders war nicht die Agenda 2010 alleine, sondern dass er der damals herrschenden Wirtschaftstheologie – Glaubenssätze statt Volkswirtschaftslehre – entgegen getreten ist. Damals war derjenige „modern“, der auf Industrie und produzierendes Gewerbe verzichtete. Wir sind als Sozialdemokraten dafür ausgelacht worden, dass wir Produktionsstandort bleiben wollten. Heute beneiden uns all diejenigen, die den Wirtschaftstheologen von damals gefolgt sind. Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, die letzte echte Industriepartei in Deutschland zu sein. Und zwar nicht im Sinne einer sentimentalen Rückwärtsgewandtheit, sondern, weil wir wissen, dass Deutschland nur Zukunft mit einem starken verarbeitenden Sektor hat.

Die Frage ist nun: wie sorgen wir dafür, dass unsere Stärken auch in Zukunft unsere Stärken bleiben?

Mir ist wichtig, dass wir uns nicht zurück begeben in ideologische Grabenkämpfe und Vorurteile, sondern gemeinsam den Blick nach vorne richten. Wenn wir zukünftig ökonomisch erfolgreich sein wollen, dürfen wir keine falschen Gegensätze zulassen. Den wirtschaftlichen Erfolg von morgen sichern wir weder mit staatlichen Allmachtsphantasien und Mikrosteuerung, noch mit einem Staat, der wirtschaftlichen Entwicklungen tatenlos zusieht. Es ist fast 60 Jahre her, dass sich meine Partei im Godesberger Programm 1959 als eine Volkspartei mit klarem Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft aufgestellt hat. Damals hieß unser Motto sinngemäß: „So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig.“

Anrede,
Wichtig ist mir, dass wir mit dieser Philosophie eine neue Dynamik und Aufbruchsstimmung hinbekommen. Mit Freiheit für die Unternehmer und mit einem Staat, der die richtigen Rahmenbedingungen schafft.

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Hierbei steht für mich als zentrales Anliegen im Mittelpunkt: Investitionen. Wir wollen Geld in die Hand nehmen, damit es nach vorne geht. Wir haben in Deutschland einen Investitionsrückstand von knapp 140 Milliarden Euro bei den Kommunen. Der Nettowert unseres Staatsvermögens schmilzt dahin. Es gibt Ökonomen, die sprechen von einem Wertverlust von 500 Milliarden Euro seit dem Jahr 2000. Wir gehören zu einem der Industrieländer mit den niedrigsten öffentlichen Investitionsquoten. Wir leben bei allen wirtschaftlichen Erfolgen schon lange von der Substanz. Hier will ich gegensteuern und das ist für mich eine ganz wichtige Priorität in meiner Wirtschaftspolitik: Investitionen. In die Infrastruktur und Mobilität. In Bildung und Breitbandausbau.

·       ·  Wir verlieren Zeit und Geld, wenn Straßen oder Brücken gesperrt sind.

·       ·  Wir verlieren Zeit und Geld wenn die Bahn nicht pünktlich kommt.

·       ·  Wir verlieren Zeit und Geld wenn die Menschen zu lange in den Staus stehen.

·       ·  Wir verlieren Zeit und Geld wenn die Breitbandverkabelung zu langsam voran

kommt und vor allen Dingen ländliche Räume darunter leiden.

·       ·  Wir verlieren Potential, wenn Firmen nicht zu uns kommen, weil unsere digitalen

Netze nicht auf der Höhe der Zeit sind.
Und wenn wir als eines der reichsten Länder der Erde nicht in die Ausbildung unserer Kinder investieren machen wir einen entscheidenden Fehler. Bildung muss auch finanziert werden. In den Schulen müssen heute die Kompetenzen gelernt werden, die auf den Arbeitsmärkten von morgen benötigt werden. Das man den richtigen Umgang mit dem Netz gelernt hat und erste Schritte beim Programmieren gemacht hat.
Das alles geht nicht mehr an der Kreidetafel. Deshalb brauchen wir moderne Schulen und moderne Ausstattung. Allein an Schulen haben wir einen Sanierungsstau von 34 Milliarden Euro. Hier müssen wir investieren – und zwar Bund, Länder und Kommunen gemeinsam. Es ist richtig, dass wir dieser Tage das Kooperationsverbot aufbrechen. Bildungsinvestitionen sind eine gesamtstaatliche Aufgabe, die nicht an kleinlichem Zuständigkeitsgerangel scheitern darf.

Dass Deutschland im Bereich Investitionen mehr tun muss, wird auf der ganzen Welt diskutiert. Wir werden auch wegen unserem hohen Handelsbilanzüberschuss kritisiert. Ich halte das für falsch. Wir müssen uns nicht dafür schämen erfolgreich zu sein. Unsere Exporte sind das Ergebnis der guten Arbeit, die hier im Land geleistet wird.

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Es ist das Qualitätslabel „Made in Germany“, das unsere Waren auf der ganzen Welt so beliebt macht. Wir sind erfolgreich und ich will dass wir es bleiben.

Deshalb wird meine Antwort auf den Vorwurf des Handelsbilanzüberschusses heißen: Wir werden noch besser werden, aber wir werden unsere Stärken effektiver einsetzen um unsere europäischen Partner durch unsere Kraft stärker zu machen. Und deshalb: ein wirkliches Problem haben wir bei den Exporten. Wir exportieren und sparen dann an, was wir verdient haben. Hier liegt die Chance: wenn wir wieder mehr investieren, damit unser Land den enormen Investitionsstau überwindet, dann kommen wir gesamtwirtschaftlich zu einer ausgeglichenen Bilanz:

Von einer solchen öffentlichen Investitionsoffensive profitieren natürlich unsere Handwerksbetriebe und viele regionale KMUs, aber unser Land insgesamt wird dadurch auch mehr importieren, was sich positiv auf den europäischen Markt auswirken kann. Denn eines müssen wir endlich verstehen. Die deutsche Wirtschaft wird nur in einem funktionierenden europäischen Wirtschaftsraum langfristig florieren. Schaden wir bewusst oder unbewusst dem Euroraum und dem europäischen Binnenmarkt, dann schaden wir uns früher oder später selbst. Wovon ich rede: Von den G7, also den sieben größten Industrienationen der Welt, gehören vier - Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien - zum Binnenmarkt. Drei, Deutschland, Frankreich, und Italien zum Euroraum. Großbritannien will zwar raus aus der EU, will aber unter allen Umständen Teil des Binnenmarktes bleiben. Kanada, ein nichteuropäischer G7-Staat, hat mit aller Macht auf ein Handelsabkommen mit diesem Binnenmarkt gedrängt, weil es um die Kraft dieser Wirtschaftsregion weiß und die Trump-Abschottungsstrategie für fatal hält und in Japan herrscht schiere Verzweiflung über die britischen EU-Eskapaden. Diese Beispiele zeigen, wie bedeutend ein funktionierender europäischer Binnenmarkt für alle Industriestaaten ist. Ihn zu schädigen, statt zu stärken, wäre verheerend. Eine aktivierende Investitionspolitik in Deutschland stärkt diesen Binnenmarkt und ist deshalb in unserem und internationalem Interesse. Deshalb gilt für mich die Leitlinie: Vorfahrt für Investitionen!

Anrede,
Bei den Investitionen geht es aber nicht nur um öffentliche Investitionen, vielleicht noch nicht einmal in erster Linie. Es
gilt private Investitionsbremsen zu identifizieren und

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entsprechende Gegenstrategien zu entwickeln, damit ein Investitionsfeuerwerk entfesselt wird, dass nachhaltig wirkt und nicht als Strohfeuer verpufft:

Bei meinen vielen Unternehmensbesuchen habe ich diese Frage gestellt: warum investiert ihr nicht? Was müssen wir tun, damit sich das ändert? Verschiedene Botschaften habe ich aus diesen Gesprächen mitgenommen, aus denen ich die notwendigen Konsequenzen ziehen möchte, die ich zusammen mit meinem Kollegen Hubertus Heil ausgearbeitet habe:

Erstens, den Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften. Es gibt in Deutschland aktuell rund eine Million offene Stellen. Die meisten davon sind Fachkraft-Stellen. Dieser Bedarf an Fachkräften wird in den nächsten Jahren noch weiter steigen. Denn durch den digitalen Umbau der Wirtschaft gibt es hier einen enormen Bedarf. Gute Bildung und freier Zugang zu Bildung werden in Zukunft entscheidend sein. Genau deshalb wollen wir die Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Uni oder zum Meisterbrief. Diese Gebühren wollen wir in Zukunft von staatlicher Seite finanzieren. Das wird keine Mehrbelastung für die Kammern bedeuten. Die gute Qualität der Ausbildung wird also erhalten bleiben und der Zugang frei. Damit wirklich jeder, unabhängig von der Herkunft und vom Geldbeutel, die Chance auf eine gute Ausbildung hat.

Es wird aber auch entscheidend sein, dass wir die Menschen, die längst im Arbeitsmarkt sind, weiterbilden. Dabei müssen wir vor allem gemeinsam auf die Förderung innerbetrieblicher Weiterbildung setzen.

Es ist aber genauso wichtig, Weiterqualifizierung für Menschen zu ermöglichen, deren Betriebe oder Arbeitsplätze den digitalen Wandel nicht überstehen, die, obwohl sie gut qualifiziert sind, unverschuldet arbeitslos werden. Deshalb habe ich zusammen mit Arbeitsministerin Andrea Nahles und dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz eine Weiterentwicklung der Bundesagentur für Arbeit zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung vorgeschlagen. Nicht, um einen neuen, gar abgehobenen Weiterbildungsmarkt zu etablieren, sondern um im Miteinander mit den Betrieben - mit den Unternehmern und Betriebsräten – den richtigen politischen Rahmen zu setzen, um von Arbeitslosigkeit Betroffenen oder Gefährdeten durch Qualifizierung eine 2. oder 3. Chance zu geben. Diese Qualifizierungsoffensive für Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit

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Bedrohten ist keine Rolle rückwärts, wie das manchmal eingeordnet wird, sondern ganz im Gegenteil: das ist Zukunftsvorsorge.

Zweitens, wenn ich beim Thema Investitionsbremsen bin: Gerade junge Start-ups haben mir gesagt, dass es häufig am Wagniskapital mangelt. Gute Ideen finden häufig bei uns einfach nicht die richtige Finanzierung. Das müssen wir ändern: Für gute Ideen muss Wagniskapital vorhanden und verfügbar sein. Nicht nur in der Anfangsphase – da sind wir schon ziemlich gut – sondern vor allem wenn Start-ups den zweiten Schritt gehen, expandieren oder neue Märkte erschließen wollen. Und wir müssen Neuunternehmern auch mal erlauben, dass sie scheitern. Als "gescheiterter Unternehmer" wird man bei uns immer noch als „Verlierer“ stigmatisiert. Die USA haben uns hier einiges voraus, denn dort wird Scheitern als Ansporn genommen, es beim zweiten Versuch besser zu machen. Wir brauchen eine Kultur der nächsten Chance. Dazu gehört auch, dass wir prüfen, ob unser Insolvenzrecht noch zu dieser Philosophie passt, oder ob wir hier vielleicht Änderungen vornehmen müssen.

Drittens: In fast allen Betrieben habe ich Kritik an hemmender Bürokratie und zu langen und zu komplizierten Genehmigungsverfahren gehört, bedingt sowohl durch nationale als auch durch europäische Vorgaben.

Das werde ich auf beiden Ebenen anpacken. Ich kenne das ja noch aus meiner Zeit aus Brüssel, wie gut gemeinte Vorschläge oft zu regulatorischen Repressalien ausarten können. Wenn die EU darüber entscheiden will, ob in Italien das Olivenöl in einfachen Glasflaschen auf den Restauranttischen stehen darf oder nicht, dann geht das zu weit. Die EU muss sich aus dem Klein-Klein, das die Leute nervt, heraushalten und sich dafür auf die großen Aufgaben konzentrieren. Die EU-Kommission hat das verstanden und sich vorgenommen: „small on small things, big on big things“ – klein bei kleinen Fragen und groß in den großen Fragen. Das ist die Philosophie, die wir brauchen: Wir müssen Europa entbürokratisieren und dafür sorgen, dass sich die EU auf die großen politischen und ökonomischen Fragen konzentriert, bei der Entwicklung unserer Unternehmen mithilft und sich aus dem Klein-Klein heraushält.

Aber auch innerstaatlich will ich ein wirkungsvolles Entbürokratisierungsprogramm forcieren, weil ich nicht der Meinung bin, dass der Staat diejenigen nerven soll, die sich

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aufmachen und die innovativ sind. Gerade die Digitalisierung bringt uns doch auch hier unzählige Möglichkeiten der Vereinfachung. Man sollte auch bei uns die wichtigsten Formalien bequem von zuhause am Rechner erledigen können. Ich will eine moderne, durchdigitalisierte öffentliche Verwaltung, in der der Kontakt Staat-Bürger auf kurze effektive Wege gebracht werden kann. Wir hinken beim E-Government deutlich hinterher. In der letzten Rangliste der UN lagen wir auf Platz 15 von 25. Hinter den Niederlanden, hinter Neuseeland und hinter Estland.

Unser Anspruch muss doch höher sein. Wir müssen auch endlich der Weltmeister der effizienten Verwaltung werden. Bei diesem Thema helfen uns keine gespaltenen Zuständigkeiten und keine Symboldebatten um Internetministerien. Wir müssen die Verantwortung für die digitale Zukunft bündeln. Deshalb werde ich nach der Bundestagswahl das Thema Digitalisierung zur Chefsache machen. Das Bundeskanzleramt muss die Digitalpolitik als Stabsaufgabe sehr viel stärker als bisher koordinieren.

In diesem Zusammenhang, zum Schluss vielleicht der wichtigste Punkt: In meinen Augen ist die Angst-fixierte öffentliche Debatte, die in der Zukunft stets die Risiken, aber fast nie die Chancen beschreibt, ein echtes Investitionshindernis. Das sage ich nicht nur, aber auch, an die Adresse meiner eigenen Partei.

Anrede,
Nur wenige hundert Meter neben meinem Geburtshaus stand eine drei Meter hohe Mauer. Auf der Mauer war ein Stacheldraht. Und hinter der Mauer, ging es 300 Meter in die Tiefe. Ich bin direkt neben einer Braunkohlengrube geboren. Der einzige Grund, warum mein Heimatdorf nicht weggebaggert wurde, war, dass es eine denkmalgeschützte Kirche gab. Als ich 14 Jahre alt war, wurde in der Stadt, in der ich dann später lebte, die Steinkohlengrube, von der diese Stadt lange gelebt hatte, geschlossen. Während meiner Bürgermeisterzeit habe ich von 1987 bis 1997 eine Grubenschließung und eine Werksstillegung im Zuliefererbereich nach der anderen erlebt. Die Bergleute und die Stahlarbeiter konnten in die Braunkohlengruben und den Anlagenbau wechseln. Und heute leben wir in Zeiten der Energiewende. Die Braunkohlengruben werden geschlossen, die Kraftwerke werden verschwinden, der Anlagenbau auch. Warum erzähle ich das? Weil ich an meiner eigenen Geschichte sehe, dass man
ein ganzes Leben im Strukturwandel verbringen kann. Solchen Wandel

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wird es immer geben. Er kann schmerzhaft sein, Arbeitslosigkeit mit sich ziehen oder wirtschaftliche Probleme. Er kann aber auch eine Chance sein. Es liegt an uns, ob wir diese Chancen nutzen. Dafür brauchen wir aber eine aktive, gestaltende und zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik.

Ich möchte, dass wir Unternehmen dabei unterstützen, wenn sie sich auf solche Strukturwandel einstellen und sich für die Zukunft aufstellen wollen.

Gerade KMUs haben oft nicht die Ressourcen, um ihre Geschäftsmodelle komplett zu erneuern. Hier bedarf es konkreter Unterstützung. Das müssen nicht immer die Milliardenprogramme sein. Ich möchte ein Beispiel nenne