Arbeitsgemeinschaft Selbständige in der SPD (AGS) in der Regio Aachen

Für eine soziale, nachhaltige und ökologische Wirtschaft

Zukunftskonferenz der SPD

Veröffentlicht am 03.12.2016 in Bundespolitik

Diskussionsrunde im Reichstag

Am 25. November 2016 fand in Berlin die "Zukunftskonferenz NEUE GERECHTIGKEIT" der SPD statt. Ziel dieses Projektes ist es, Antworten auf Zukunftsfragen zu erarbeiten, vor denen unser Land steht, so Thomas Oppermann, Vorsitzender der SPD- Bundestagsfraktion. In sechs Projektforen wurden Lösungsansätze zu den gestellten Fragen erarbeitet. Die Ergebnisse des Projekts  wurden anschließend in großer Runde diskutiert. Die AGS hatte sich schwerpunktmäßig am Projektforum "Neue Zeiten" beteiligt,  dass sich mit "Arbeits- und Lebensmodellen im Wandel " beschäftigte. Eines der 3 Schwerpunktthemen dieses Forums war die soziale Absicherung für (Solo- )- Selbständige. Ein Thema, das die AGSNRW schon lange beschäftigt. Die AGSNRW wurde durch ihren Ehrenvorsitzenden André Brümmer vertreten.

SPD- Bundestags- Fraktion Nov. 2016:

Ein Jahr lang haben wir als SPD-Bundestagsfraktion in unserem "Projekt Zukunft – #NeueGerechtigkeit" Antworten auf Zukunftsfragen erarbeitet, vor denen unser Land steht. Globalisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel und Bedrohungen der inneren und äußeren Sicherheit verlangen neue politische Lösungen, um Lebensqualität, soziale Gerechtigkeit und ökonomischen Erfolg unter sich verändernden Vorzeichen zu bewahren.

Im Dialog mit Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis, mit Verbänden, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft, mit jungen Menschen, mit Betroffenen und interessierten Bürgerinnen und Bürgern haben unsere Abgeordneten in sechs Teams um Lösungen gerungen. Die Ergebnisse möchten wir Ihnen bei unserer Zukunftskonferenz #NeueGerechtigkeit vorstellen. Hier finden Sie das vollständige Programm

Aus: Projektforum #Neue Zeiten:

Neue Zeiten in der Arbeitswelt–
soziale Absicherung für (Solo-)Selbständige verbessern

Beschluss der SPD-Bundestagsfraktion vom 18. Oktober 2016

Projekt Zukunft : NeueGerechtigkeit:

Neue Zeiten in der Arbeitswelt– soziale Absicherung für (Solo-)Selbständige verbessern

Neue Zeiten erfordern neue Ideen. Deshalb führt die SPD-Bundestagsfraktion einen breit angelegten Dialog mit Fachleuten, Organisationen und Bürgerinnen und Bürgern. Gemeinsam mit ihnen erarbeiten wir Konzepte für die Herausforderungen der Zukunft. Unser Ziel: Wir wollen, dass Deutschland auch in Zukunft ein erfolgreiches und zugleich gerechtes Land ist, ein Land, das zusammenhält: Projekt Zukunft Neue Gerechtigkeit. Die Projektgruppe Neue Zeiten ist eine von insgesamt sechs Gruppen, die im Rahmen dieses Projekts nach Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft sucht. Sie hat das folgende Konzept erarbeitet.

I. Ausgangslage: Selbständige Tätigkeit im Wandel

Wandel der Arbeitswelt – Wandel der Erwerbsformen

Unsere Arbeitswelt befindet sich in einem grundlegenden und sich beschleunigenden Wandel. Digitalisierung, Ausgliederungen sowie die Internationalisierung von Fertigungs- und Liefer- ketten verändern die Tätigkeiten inhaltlich und hinsichtlich ihrer Verteilung zwischen Unternehmen und Ländern. Neue Geschäftsmodelle wie etwa die digitale Plattformwirtschaft lassen dabei auch neue Formen der Arbeitsorganisation entstehen.

Im Rahmen dieses Wandels erfahren wir gravierende Veränderungen innerhalb sowie zwi- schen den verschiedenen Formen von Erwerbstätigkeit: Individuelle Erwerbsbiografien ver- laufen weniger linear. Erwerbstätige wechseln häufig zwischen den verschiedenen Formen oder üben sie sogar gleichzeitig nebeneinander aus. Dadurch lösen sich bisher klare Abgren- zungen auf, etwa zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit. In den offener und unübersichtlicher gewordenen Grenzbereichen der traditionellen Erwerbsformen sind neue Formen der Erwerbstätigkeit entstanden bzw. wesentlich zahlreicher geworden. Dies gilt zum Beispiel für die Gruppe der sogenannten Soloselbständigen.

In der Kultur- und Kreativwirtschaft etwa lassen sich solche Entwicklungen und der grundle- gende Wandel der Arbeitswelt bereits heute klar erkennen: Auf der einen Seite befördert die Digitalisierung und Vernetzung Ideen und Innovationen und ermöglicht viele Unternehmens- gründungen, insbesondere auch von Soloselbständigen. Es wird aber auch deutlich, dass die bestehenden sozialen Sicherungssysteme diese neuen Formen von Arbeit nur unzureichend erfassen. Viele dieser Formen von Erwerbstätigkeit sind sozial schlecht abgesichert und häufig prekär.

 

  

Soloselbständige in Deutschland – Entwicklung und wirtschaftliche Lage

Soloselbständige sind Personen, die eine selbständige Tätigkeit allein, ohne angestellte Mitar beiterinnen und Mitarbeiter, ausüben. Im Jahre 2014 gab es davon in Deutschland bereits knapp 2,35 Millionen. Hingegen lag die Zahl der traditionellen Selbständigen mit Mitarbeite- rinnen und Mitarbeitern bei nur rund 1,9 Millionen.

Aufgrund des Wandels in der Arbeitswelt kann langfristig mit einer weiter wachsenden Anzahl von Soloselbständigen gerechnet werden - auch wenn der aktuelle Wachstumstrend seit 2012 unterbrochen ist. Seither nimmt die Zahl der Soloselbständigen (und auch die Zahl der Selbständigen insgesamt) wieder leicht ab. Hierfür dürfte insbesondere die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich sein. Zudem hat eine restriktivere Bewilligungspraxis der Bunde agentur für Arbeit zu einem Einbruch der Förderung von „Selbständigkeit aus der Arbeitslosigkeit“ geführt.

Knapp die Hälfte des Anstiegs der Zahl der Soloselbständigen seit 2000 wurde von Frauen ge- tragen. Der Frauenanteil an den Soloselbständigen wuchs in dieser Zeit von 33 Prozent auf 37 Prozent. Er liegt damit weitaus höher als der Frauenanteil bei Selbständigen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (24 %). Auch unter den Soloselbständigen liegt die Teilzeitquote von Frauen deutlich über derjenigen der Männer.

Die ökonomische Situation von Soloselbständigen ist sehr unterschiedlich. Die Einkommens- spreizung innerhalb dieser Gruppe ist größer als bei anderen Selbständigen und bei abhängig Beschäftigten. Wenn auch ein Teil der Soloselbständigen hohe Einkünfte erzielt, so erreicht doch die Hälfte dieser Erwerbstätigengruppe höchstens 12,70 Euro pro geleisteter Arbeits- stunde. Dieser sogenannte Medianwert liegt damit deutlich unter dem Wert von Selbständi- gen mit Beschäftigten (17,86 Euro) und sogar noch unter dem Wert der Arbeitnehmer (13,86 Euro).

Viele Soloselbständige kommen nicht über Einkünfte hinaus, wie sie abhängig Beschäftigte im Niedriglohnsektor beziehen - mehr als ein Viertel aller Soloselbständigen erzielt weniger als den inzwischen geltenden Mindestlohn für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von brutto 8,50 Euro pro Stunde. Am anderen Ende des Spektrums steigt aber immerhin der Anteil der Soloselbständigen mit mehr als 25 Euro brutto Stundenverdienst.

Soloselbständige verändern das „soziale Gesicht“ selbständiger Tätigkeit

Die starke Zunahme der Soloselbständigkeit in den letzten zwei Jahrzehnten hat das soziale Gesicht der Selbständigkeit in Deutschland spürbar verändert. Diese „neue Selbstständigkeit“ ist mit den traditionellen Formen (Kleingewerbe, Mittelstand, verkammerte Berufe) kaum zu vergleichen. Soloselbständige wirtschaften vielfach ohne bzw. nur mit sehr geringen eigenen Vermögenswerten auf einem viel eher dem Arbeitnehmerbereich vergleichbaren Einkom- mensniveau.

Soloselbständige sind aber – ebenso wie traditionelle Selbständige, anders als abhängig Be- schäftigte – im deutschen Sozialsystem grundsätzlich für die Absicherung der Lebensrisiken selbst verantwortlich. Voraussetzung dafür ist neben einem ausreichenden Maß an Eigenver- antwortlichkeit jedoch auch die finanzielle Fähigkeit, diese private Vorsorge und Absicherung überhaupt leisten zu können.

Vielen Soloselbständigen ist ihre zurzeit mangelnde Absicherung vor allem gegen drohende Altersarmut, in Einzelfällen auch gegen Krankheit, durchaus bewusst. Sie sehen sich aber fi- nanziell überfordert, sich unter den heute gegebenen Möglichkeiten freiwillig im gesetzlichen System zu versichern.

II. Unser Ziel: (Solo-)Selbständige besser absichern

Angesichts des geschilderten Wandels der Arbeitswelt und des „sozialen Gesichts“ von Selb- ständigkeit in Deutschland ist es unser Ziel, Soloselbständigen, aber auch anderen Selbständigen mit schwierigen Einkommenspositionen, eine bessere soziale Absicherung zu ermöglichen. Dabei gilt es Lösungen zu finden, die der zunehmenden Angleichung von Tätigkeitsprofilen sowie Einkommens- und Vermögensprofilen zwischen (Solo-) Selbständigen und abhängig Beschäftigten Rechnung tragen, aber auch die Besonderheiten selbständiger Einkommenserzielung (u. a. schwankende Einkommen, fehlender Arbeitgeberanteil) und das Selbstverständnis selbständig Tätiger beachten.

Unbedingt vermeiden wollen wir die Errichtung einer neuen scharfen Trennlinie im Absicherungssatus zwischen Soloselbständigen einerseits und Selbständigen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter andererseits. Eine solche neuerlich scharfe Statustrennung widerspräche der Wirklichkeit vieler kleiner selbständiger Existenzen, in denen sich Phasen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und solche ohne im Zuge schwankender Auftragslagen immer wieder abwechseln. Zudem würde Gründungen, die mit einer Soloselbständigkeit beginnen, gerade zum Zeitpunkt erster Erfolge und Expansion eine neue Hürde in den Weg gestellt. Das bedeutet im Ergebnis aber: Wir wollen Lösungen, die für alle Selbständigen gelten, nicht nur für die Gruppe der Soloselbständigen.

Diese Zielsetzungen lassen sich aus unserer Sicht am besten erreichen, wenn es gelingt, die Selbständigen möglichst umfassend in die verschiedenen Zweige der gesetzlichen Sozialversicherung einzubeziehen. Der Zugang zu diesen muss dafür an einigen Stellen für Selbständige gezielt wirtschaftlich attraktiver und einfacher gemacht werden. Im Bereich mit den größten Sicherungslücken, der Altersvorsorge, bedarf es andererseits grundsätzlich auch für Selbständige einer verpflichtenden Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung. Ausnahmen können auch künftig für spezifische Versorgungssysteme gemacht werden, die einen der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbaren Leistungsumfang bieten.

III.

Die konkreten Handlungsfelder: Krankenversicherung, Altersvorsorge, Arbeitslo- senversicherung

a. Krankenversicherung

Seit 2009 ist die Krankenversicherung in Deutschland obligatorisch, außerdem ist Krankheit für die meisten Selbständigen das gegenüber dem Alter unmittelbarere und daher vorrangig abzusichernde Risiko. Insofern ist eine Sicherungslücke in diesem Zweig der Sozialversicherung auch bei Selbständigen nur in wenigen Fällen gegeben.

Gleichwohl besteht in diesem Zweig der Sozialversicherung dringender Handlungsbedarf: Die hohen Mindestbeiträge für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Selbständige sowie die mit zunehmendem Alter oftmals stark ansteigen- den Beiträge in der privaten Krankenversicherung (über-)beanspruchen     auskömmliche Altersvorsorge bleibt ihnen dann kein ausreichender wirtschaftlicher Raum mehr. Zudem bedeutet der Mindestbeitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung eine deutliche Schlechterstellung von Selbständigen im unteren Einkommensbereich gegenüber abhängig Beschäftigten mit vergleichbaren Einkommen.(1)

1)       Die hohen Mindestbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung belasten neben den Selbständigen auch andere Gruppen, z.B. Kleinstrentner. Anzustreben ist daher eine umfassendere Lösung, die sämtliche Betroffenen mit einbezieht.  

Wir wollen daher die Beitragsbemessung für Selbständige in der gesetzlichen Kranken- versicherung analog zu abhängig Beschäftigten einkommensabhängig ausgestalten und die Mindestbeiträge entsprechend absenken.

Dieser Schritt würde viele Selbständige finanziell spürbar entlasteten und ihnen damit einen zusätzlichen Spielraum für eine auskömmlichere Altersvorsoge verschaffen. Zudem wäre er eine Bewegung hin auf unser Ziel einer umfassenden Bürgerversicherung.

b. Altersvorsorge

Die bislang fehlende Verpflichtung zur Altersvorsorge für den Großteil (etwa drei Viertel) aller Selbständigen führt zu einer erheblichen Sicherungslücke in diesem Zweig der Sozialversicherung. Selbständigkeit ist dadurch ein eindeutig identifizierbarer Risik faktor im Hinblick auf eine drohende Altersarmut. Sie bietet darüber hinaus auch einen Anreiz für Arbeitgeber, Druck auf ihre Beschäftigten auszuüben, eine bislang sozialver- sicherungspflichtige Beschäftigung in eine selbständige Tätigkeit umzuwandeln.

Wir wollen daher die Beitragsbemessung für Selbständige in der gesetzlichen Kranken- versicherung analog zu abhängig Beschäftigten einkommensabhängig ausgestalten und die Mindestbeiträge entsprechend absenken. .  

Wir wollen daher künftig auch für Selbständige eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzl chen Rentenversicherung. Ausnahmen gelten nur bei Mitgliedschaft in einem bestehenden Versorgungswerk.

Diese Lösung geht deutlich über eine bloße Verpflichtung zum Abschluss einer individuellen Altersvorsorge hinaus. Letztere gäbe allerdings entweder keinerlei Gewähr, dass später zu- mindest ein der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbares Leistungsniveau (insbe- sondere auch hinsichtlich der Absicherung von Erwerbsminderung und Hinterbliebenen) erreicht würde, oder aber Anlass für einen hohen bürokratischen Prüfaufwand, ob ein ent- sprechendes Sicherungsniveau in jedem individuellen Fall auch tatsächlich gewährleistet ist.

Gleichzeitig bietet die Lösung bestehenden berufsständischen Versorgungswerken Pla- nungssicherheit.

Für den Übergang in das System einer verpflichtenden Altersvorsorge wollen wir neben der Pflichtversicherung für alle neuen Selbständigen für die bereits selbständig Tätigen eine Altersgrenze (z. B. 50 Jahre), unterhalb derer ebenfalls die Verpflichtung greift. Selbständige oberhalb dieser Altersgrenze können ihre bisherige Altersvorsorge fortführen und sollen nicht automatisch Pflichtmitglieder in der gesetzlichen Rentenversicherung werden es sei denn, sie beantragen dies von sich aus. Selbständige, die diese Altersgrenze noch nicht erreicht haben, können eine persönliche Ausnahme erhalten, sofern sie bereits Alterssicherungsansprüche – z.B. aus einer staatlich geförderten „Rürup-Rente“ - erworben haben, die eine ausreichende Absicherung zumindest oberhalb des Grundsicherungsniveaus erwarten lassen. Wir werden zudem prüfen, ob für Selbständige, die ausreichende Ansprüche unter den Bedingungen der „Rürup-Rente“ erwerben, eine solche Ausnahme auch über die Übergangsregelung hinaus gewährt werden kann.

Die Beitragserhebung soll von der Geringfügigkeitsgrenze an bis hin zur Bemessungsgrenze einkommensbezogen sein, dabei aber die Besonderheiten selbständiger Einkom- menserzielung berücksichtigen:
Die Höhe des Beitrags bemisst sich am – bilanziell oder durch Überschussrechnung ermit- telten Gewinn. Dieser ist jedoch nur eine Näherungsgröße an den nirgendwo exakt ermit- telten und ausgewiesenen „Unternehmerlohn“ und ist daher noch in zwei Schritten zu korrigieren: Zunächst einmal wird der Gewinn um einen Pauschalbetrag für Werbungs- kosten erhöht – denn auch bei abhängig Beschäftigten mindern die Werbungskosten nicht die Beitragsbemessungsgrundlage. Anschließend ist das Ergebnis dann um einen Korrekturfaktor nach unten zu korrigieren, weil der Gewinn dem Arbeitgeberbrutto ent- spricht, die Bezugsgröße des Rentenbeitrags bei abhängig Beschäftigten aber das Arbeit- nehmerbrutto ist.

Anders als abhängig Beschäftigte müssen Selbständige den vollen Sozialversicherungsbei- trag allein aufbringen – dies haben sie bei ihrer Preiskalkulation zu berücksichtigen. Grundlage für die monatlichen (Voraus-)Zahlungen wäre die jeweils für das letzte Einkommensteuerverfahren zugrunde gelegten Einkünfte aus Selbständigkeit. Eine Anpassung der laufenden Vorauszahlungen kann bei Nachweis (etwa auf Basis der Umsatzsteuervoranmeldungen) erheblich abweichender laufender Einnahmen vorgenommen werden.

Sind dann im nachfolgenden Einkommensteuerverfahren die tatsächlichen Einkünfte des betreffenden Jahres ermittelt, werden die geleisteten laufenden Zahlungen durch eine einmalige Abschlusszahlung angepasst.
Im Zuge des Übergangs hin zu einer rein einkommensbezogenen Beitragserhebung wäre eine nochmalige kritische Überprüfung der geltenden Gewinnermittlungsvorschriften wünschenswert. Zu prüfen wäre ebenfalls, ob langfristig die für die Beitragsberechnung erforderlichen Informationen durch einen automatischen Datenaustausch zwischen Fi- nanzverwaltung und Rentenversicherung übermittelt werden können.

Wir wollen keine dauerhafte Bezuschussung der Beitragszahlungen Selbständiger aus öf- fentlichen Mitteln zum Ausgleich des fehlenden Arbeitgeberbeitrags.

 Letzterer ist ein zwangsläufiges Element selbständiger Einkommenserzielung. Die Sondersysteme der Künstlersozialkasse und der landwirtschaftlichen Alterskasse, die heute bereits solche Bezuschussung aus Steuermitteln vorsehen, sollen allerdings als Ausnahmen erhalten bleiben. Daneben halten wir es für sinnvoll für die Startphase der Selbständigkeit einen zweckgebundenen steuerfinanzierten Zuschuss zur Beitragszahlung zu gewähren.

 

Viele Selbständige haben Vorbehalte gegen eine Einbeziehung in die gesetzliche Ren- tenversicherung. Diese speisen sich vor allem auch aus der Sorge heraus, mit den genen Beiträgen nur eine kurzfristige Beitragsstabilisierung ermöglichen zu sollen. Um eine solche bloße Lastenverschiebung in die Zukunft aber zu vermeiden, sollte die Ein- beziehung von Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung mit der Abschaffung der Obergrenze der so genannten Nachhaltigkeitsreserve einhergehen. Damit könnte diese Nachhaltigkeitsreserve zu einer echten Demografiereserve ausgebaut werden. Die Einbeziehung von Selbständigen könnte damit genutzt werden, um Leistungen und Beiträge der gesetzlichen Rentenversicherung für alle Versicherten auch nach dem Jahre 2030 zu stabilisieren. Gerade für Erwerbstätige mit einer zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit fluktuierender Biografie böte eine dauerhafte Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung die Möglichkeit eines durchgängigen Aufbaus einer verlässlichen Altersversorgung.

Sofern künftig in der GRV Mindestversicherungselemente („solidarische Lebensleis- tungsrente“) eingeführt werden, sollen diese auch selbständigen Mitgliedern der GRV zustehen, die die Voraussetzungen dafür (insb. langjährige Beitragszahlungen) erfüllen. Solche Mindestsicherungselemente würden die GRV gerade für gering verdienende Selbständige zusätzlich attraktiv machen.

Gerade auch im Hinblick auf diese weitergehenden Überlegungen ist klar, dass sich die hier isoliert vorgestellten Reformvorschläge für die Selbständigen im Ergebnis in ein umfassendes, solide finanziertes Gesamtkonzept zur Alterssicherung einfügen müssen.

c. Arbeitslosenversicherung

Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung ist zurzeit nur für Selb- ständige, die zuvor bereits abhängig beschäftigt waren möglich (Weiterversicherung). Diese Option wird mit der Zunahme von Erwerbsbiografien, die häufiger zwischen Phasen der Selbständigkeit und solchen abhängiger Beschäftigung fluktuieren, weiter an Attraktivität gewinnen. Ein weiterer Anreiz für Selbständige, Mitglied der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu werden, würde sich bei deren Erweiterung um präventiv- qualifizierende Leistungen („Arbeitsversicherung“) ergeben.

Auch in diesem Zweig der Sozialversicherung soll die Beitragserhebung künftig einkom- mensbezogen anstelle des jetzigen Pauschalsatzes erfolgen. Auf der Leistungsseite soll die jetzige Leistungsbemessung nach Qualifikationsklassen durch eine ebenfalls beitrags- und damit einkommensbezogene Leistungsgewährung im Falle von Arbeitslosigkeit ersetzt werden. Zudem könnten im Falle einer für alle Versicherten wirksamen Erweiterung der Rahmenfrist auch Selbständige einen verbesserten Zugang zu Leistungen der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung erhalten.

Diese Umstellung auf einkommensbezogene Beiträge und Leistungen würde auch in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zur gebotenen Gleichbehandlung zwischen Selbständigen und abhängig Beschäftigten führen. Die konkrete Beitragsbemessung für Selbständige unter Berücksichtigung der Spezifika selbständiger Einkommenserzielung (Vorauszahlungsmodus mit nachträglichem Ausgleich, volle Beitragsentrichtung durch die bzw. den Versicherte(n)) würde natürlich auch in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung greifen.

Bemerkung: Die Hervorhebung von Textteilen in großer, fetter Schrift ist von der AGS- Redaktion vorgenommen worden und sollen wichtige, von uns z. T. kritisch, zum teil positiv zu bewertende Textteile hervorheben!